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Abstand. Mit Gordon Matta-Clark

Seit Monaten muß ich immer wieder zurück zu einer Fotografie: ein Haus, in der Mitte gespalten, drei Monate, bevor es abgerissen werden soll. Wer hat es zerstört, bevor es zerstört wurde? Kein anderer als der Architekturdekonstruktivist Gordon Matta-Clark, 1974, vier Jahre, bevor sein eigenes Leben abreißen wird. Die Farben dieser Fotografie vom Haus, die Bäume, der Boden [lehmig oder sandig oder beides], der Himmel dreckig-blau, das Sonnenlicht, irgendwie muß ich immer dahin zurück. Ein kleines Stück Land in New Jersey, ein zweigeschossiges Haus, unscheinbar, das diejenigen, die hier mal wohnten, längst der Zeit überlassen haben und dem Unkraut. Eine Leere, gewaltig, man könnte auch sagen, armselig, armselig gewaltig. Alles, was hier an Gegenständen das tägliche Leben bestimmte, wurde entfernt. Ein müdes und schwerfälliges Objekt, niedergeschlagen durch das, was hinter ihm liegt. In der Mitte klafft ein Spalt. Matta-Clark, einunddreißig Jahre alt, hat das Haus mit einer Kettensäge getrennt und dann die linke Haushälfte auf ihrem Fundament ein Stück zur Seite gekippt, um den Spalt zu komplettieren. Nun können sie spielen, die beiden Häuser, die ab jetzt allein zurechtkommen müssen, auch wenn das, was vorher zu ihnen gehörte, ihre andere Hälfte, jeweils nur ein paar Handbreit von ihnen entfernt ist. Nun können die beiden spielen: die linke Haushälfte als linke Herzkammer, die rechte Hälfte als rechte Herzkammer. Und der Spalt? Als Herzscheidewand? Ach, geh. Du gehst unten los, nimmst die ersten Treppenstufen, und genau hier, an der Treppe, verläuft der Spalt, so daß du, wenn du hochwillst, immer wieder den Spalt passieren mußt, um weiterzukommen, und, je weiter du hochkommst, desto breiter wird der Spalt. Wie du stundenlang, um die ganze Treppe zu meistern, die Stufen hinaufsteigst und immer wieder von einem Haus zum anderen springst. Nein. Wie du von einer Haushälfte in den Spalt springst und vom Spalt in die andere Hälfte undsoweiter. Und die Haushälften stehen da und bestürmen sich, um das, was sie sind, nicht nur für sich zu sein. Immer, wenn du von einer Hälfte zur anderen springst und für eine Sekunde dort bist, wo der Spalt ist, immer dann wird das spürbar. Daß sie vorher, bevor sie gespalten wurden, vollkommen isoliert waren, OBWOHL sie zusammen waren, doch erst jetzt sehen wir diese Einsamkeit. Aber ich kann jemanden, der mir nah ist, doch nur ertragen, wenn es gerade noch so was gibt: Abstand, gerade das Nicht-Berühren, und erst dann kann das Nicht-Berühren was anderes sein als Nicht-Berühren, kann auf einmal so was werden wie Berühren. Auch die Häuser, die früher eins waren, bleiben hartnäckig, auch wenn alles dagegensteht, daß sie je wieder zusammenkommen, auch wenn sie wissen, daß sie immer nur darauf warten werden, daß sich der Spalt wieder schließt, auch wenn sie verwildern werden und verrohen und verrotten. Für sie wird dieser Spalt die gemeinsame Welt sein. Das einzige, das uns dem anderen aussetzt und ihm zugleich entzieht und so noch stärker aussetzt.

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